„Sag ma, hat dich ´ne Micky Maus gebissen?!“

Am heutigen Prozesstag wurde die unterbrochene Hauptverhandlung mit der Befragung des Zeugen Thomas C. fortgeführt. Diese hatte in der vorvergangenen Sitzung, am 14.09. nicht zuletzt aufgrund der Angewohnheit des Zeugen, zu langatmigen Ausführungen anzusetzen, nicht mehr beendet werden können. Die bizarren Ausführungen des Informanten während seiner letzten Anhörungen ließen die Frage aufkommen, was an diesem Prozesstag alles so zur Sprache kommen würde.

Zunächst antwortete der Zeuge noch auf einige verbliebene Nachfragen des Vorsitzenden Richters. Dieser gab allerdings sehr schnell das Fragerecht weiter. Der Oberstaatsanwalt versuchte mit Nachfragen Thomas C. dazu zu bewegen, sich endlich auf konkrete Aussagen festzulegen. Einer jeden der wenigen eindeutigen Antwort folgten allerdings oftmals Relativierungen und Einschränkungen des Befragten.
Der Vertreter der Nebenklage versuchte daher dem Zeugen nochmal alle zur Sprache gebrachten Ausführungen, in einem konstruktiv interpretierten Zusammenhang nahezulegen. Anklage wie Nebenklage können aus nachvollziehbaren Gründen kein Interesse an einem Belastungszeugen haben, der vor allem für sich selbst ein Problem ist. Der Vertreter der Nebenklage legte daher Thomas C. dessen, bislang missverständlich oder auch absurd klingende Angaben in einer Weise zurecht, dass diese einen Ablauf der Geschehnisse ergaben, welcher sich in groben Zügen mit den bisher eingeführten Beweisen und Zeugenaussagen deckte. Doch der unberechenbare Zeuge funkte hier auch dem Nebenklagevertreter dazwischen und wies dessen Deutung ab.

Damit hatte zum ersten Mal auch die Verteidigung die Möglichkeit, jenen Zeugen zu befragen, der sich aus freien Stücken beim Justizministerium und dem Landesamt für Verfassungsschutz andienen wollte, um aus rein „ethisch-moralischen Gründen“ den Angeklagten zu belasten. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt hatte der Informant wie bereits bei seiner ersten Anhörung tiefe Einblicke in seine persönlichen Eigenheiten gegeben. So hatte C. zuvor auf Nachfrage der Kammer zur Frage über psychische Probleme bereits den bemerkenswerten Satz geäußert: „Das kann schon mal sein, dass man da psychisch belastet ist. Ich bin das selbst ja manchmal auch – nicht.“ Kurz darauf gab er zu Protokoll, den Angeklagten gefragt zu haben, ob diesen „ne Micky Maus gebissen hat?“ Auf seine Motivation hin befragt, sich per Brief an das Justizministerium zu wenden, antwortete der Zeuge: „Ein Kugelschreiber und Papier. Des weiteren Briefpapier und eine Briefmarke. Da muss ich ganz menschlich antworten.“ So sei dies halt gewesen.

Thomas C. springt über jedes Stöckchen was ihm in Form einer gestellten Suggestivfrage hingehalten wird – auch und gerade wenn er sich dabei selbst widerspricht. Sobald er dann doch mal eine Falle wittert, vergisst er die Ernsthaftigkeit seiner Lage als Zeuge vor der Kammer und reagiert wie ein bockiges Kind. Wenn ihm in dieser Situation der Vorsitzende mit einer betont ruhigen und langsamen Redeweise, als väterlicher Kümmerer, der ja alles nur zu gut versteht, entgegenkommt, beruhigt sich der Zeuge schnell wieder und das Spiel beginnt von vorn.

Die Fragen der Verteidigung zielen darauf ab, Widersprüche in den Aussagen des Informanten zwischen seinen Angaben vor der Kammer und dem Gespräch mit Beamten des Staatsschutzes freizulegen. Zur Absurdität, auch des heutigen Prozesstages, trägt aber erneut bei, dass der Zeuge kaum eine einzige Aussage macht, ohne dieselbe Aussage oft noch im gleichen Schachtelsatzgefüge wieder zu relativieren. Dies führt dazu, dass alle Befragungen des Zeugen sehr lange dauern. Er windet sich um klare Aussagen herum und verliert sich statt dessen immer wieder in Ausflüchte. Sehr selten werden einfache Nachfragen der Kammer oder der Verteidigung mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet. Sehr häufig kommt der Zeuge statt dessen mit einer Geschichte um die Ecke, die oft zum Kern der Frage keinen Bezug hat, oder sich im Laufe der Ausführungen von diesem Kern wegbewegt. Auch in einer weiteren Hinsicht scheint die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Frage zu stehen, hatte Thomas C. doch bei seiner eigenen Festnahme, bei der er mit großen Bargeldsummen und 1,8 kg Marihuana zuhause erwischt wurde, behauptet, von den festnehmenden Polizeibeamt_innen misshandelt worden zu sein. Dass die angeblichen Misshandlungen danach in den nachfolgenden Strafverfahren vor dem Amts- und Landgericht nicht belegt werden konnten, machte seine Behauptungen nicht gerade glaubwürdiger.

Im Zuschauerraum des Saals befand sich an diesem Verhandlungstage auch eine Delegation internationaler Staatsanwält_innen. Während einer Pause stellen sich die internationalen Gäste, die sich untereinander auf Englisch verständigen, die Frage worauf die Verteidigung mit ihren Nachfragen abhebt. „I assume they try to undermine the liability of this man.“ erklärt eine Begleiterin, welche die Aussagen und Fragen simultan übersetzt hatte. „We don’t need this anymore“ antwortet eine der Prozessbeobachterinnen. „Everyone knows what’s going on. Everybody has made their opinion about the liability enough already.“ Es scheint als habe die Delegation trotz Sprachbarriere und Filterung über die Verkehrssprache Englisch dennoch einen so tiefen und prägenden Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen erhalten, dass klar ist, was von dessen Äußerungen zu halten sei. Noch vor dem Ende der heutigen Sitzung verließen die internationalen Gäste dann auch den Verhandlungssaal des Landgerichts.

Immerhin konnte für die Öffentlichkeit noch etwas Licht in die Frage nach einer angeblichen Ausspähung des Vorsitzenden Richters durch Unterstützer_innen des Angeklagten gebracht werden. Die auch heute wieder erneuerte Behauptung des Zeugen C., dass es eine solche Überwachung durch eine „antifaschistische Zelle“ gegeben hätte und dass in diesem Zuge auch Fotos vom Vorsitzenden auf einer Grillparty gefertigt worden seien, hatte dazu geführt, dass der Haftraum von Schubi durchsucht und der Zeuge C vor Gericht geladen wurde. Nach intensivem Nachfragen konnte der Zeuge auch schon bei seiner letzten Vernehmung keinerlei Details dazu angeben, was auf diesem Foto zu sehen gewesen sei. Auch die angegebenen Daten ,zu welchem Zeitpunkt er von diesem Foto Kenntnis erlangt habe, machten in den verschiedenen Versionen, die der Zeuge allein am heutigen Tage angab keinerlei Sinn. Der Eindruck drängte sich auf, dass es gar kein Bild gegeben haben könnte, infolge dessen die Repression gegen Schubi in Gang gesetzt worden war. In dieser Situation kam die Verteidigung von Schubi Thomas C. entgegen und zeigte ein Bild einer Person, das im Frühjahr unter den Gefangenen der JVA Waldeck kursiert sein soll. Bei der Inaugenscheinnahme des Bildes waren die Reaktionen des Gerichts eindeutig. Der vorsitzende Richter versicherte lachend, dass er nicht die Person auf dem Bild sei, während der Oberstaatsanwalt schmunzelnd noch ergänzte, dass es sich aber um eine andere Person des Landgerichts Rostock handle.

Schreibe einen Kommentar