Protokollierung vor Gericht

Der Prozess gegen Schubi geht nach über 20 Verhandlungstagen langsam dem Ende zu. Mehrere Dutzend Zeug_innen und Sachverständige wurden seit Juni 2015 vor Gericht gehört.

Erst nach über einem halben Jahr gelang es der Verteidigung Einsicht in größere Teile des Videobeweismaterials zu erstreiten. Zuvor waren von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht nur zusammengeschnittene Videoschnipsel bereit gestellt worden, die vermeintlich ein und denselben Täter zeigen sollten. Die Übereinstimmungen der Personen wurden anhand einer blauen Jeans, einer dunklen Jacke, Vermummung und schwarzen Schuhen fest gemacht. Auf dem zunächst zurückgehaltenen Videomaterial, ist zu sehen, wie mehrere hundert Personen diese szenetypischen Kleidungsmerkmale aufweisen. Die Hinweise der Verteidigung, dass damit keine eindeutige Identifizierung des Täters bzw. der Täter mit Schubi möglich sei, wies das Gericht jedoch damit zurück, dass Schubi ja unter den etwa 200 Personen mit den gleichen Merkmalen wie die Täter bzw. der Täter sein könne und damit seine Unschuld nicht zweifelsfrei zu beweisen sei.

Eine Sachverständige der Universität Freiburg, die in ihrem ihrem anthropologisch-morphologischen Gutachten das Videomaterial der Polizei mit Lichtbildern von Schubi verglich, kam zu dem Schluss, dass eine Übereinstimmung der Täter mit Schubi nur „möglich“ sei. Die Kategorisierung der Übereinstimmung als „möglich“ stellt in der fünfstufigen Skala das schlechteste Ergebnis vor dem Ausschluss der Übereinstimmung dar (mit höchster Wahrscheinlichkeit identisch, mit hoher Wahrscheinlichkeit identisch, wahrscheinlich identisch, Identität möglich und Identität abgelehnt). Selbst die Sachverständige bestätigte vor Gericht, dass voraussichtlich eine gleich hohe oder sogar noch höhere Übereinstimmung der Täter mit hunderten anderen Fans im Stadion zu finden wäre.

Die Videos zeigten laut der Verteidigung darüber hinaus, dass Aussagen einiger Polizeizeug_innen nicht mit dem dokumentierten Geschehen auf den Aufnahmen übereinstimmen. Das Beweiskonstrukt gegen Schubi schien damit ins Wanken zu geraten. Voraussichtlich auch deshalb griff die Anklage dankend einen neuen Zeugen auf, der sich nach Eröffnung der Hauptverhandlung von sich aus als Zeuge angeboten hatte. Der ehemalige Mithäftling Thomas C. ließ verlautbaren, dass er Angaben zu den Vorwürfen gegen Schubi und der linken Szene in Rostock machen könne. Zwei Mal wurde er vor Gericht gehört. Zwei Verhandlungstage unterhielt er das Gericht mit seinen verworrenen und von Abschweifungen begleiteten Ausführungen. An beiden Tagen protokollierten Prozessbeobachter_innen und die Verteidigung die Ausführungen des Hauptbelastungszeugen. Auch das Gericht schien sich seine Notizen zu machen, die letztlich in einen Beschluss über die Ablehnung eines Beweisantrages der Verteidigung vom 07.12.2015 einflossen, in dem die Verteidigung u. a. die Glaubwürdigkeit des Zeugen C. angezweifelt hatte. Die Ausführungen des Gericht lassen jedoch den Eindruck aufkommen, dass die Prozessbeobachter_innen und Kammer des Landgerichtes jeweils bei einer anderen Vernehmung gewesen zu sein schienen.

Die bizarre Aussage des Hauptbelastungszeugen

Wir möchten an dieser Stelle nur auszugsweise die Aussagen des Zeugen C. wiedergeben. Einerseits wäre die gesamte Wiedergabe aufgrund der Verworrenheit der Aussagen nur schwer möglich, andererseits wollen wir die Unwahrheiten, die der Zeuge vor Gericht zu Gehör gebracht hat, nicht weiter verbreiten.
Der Zeuge Thomas C. gab vor Gericht wieder, dass das Tatwerkzeug, mit dem auf die Polizist_innen beim Risikospiel des FC Hansa Rostock gegen den Dynamo Dresden geschädigt worden sein sollen, eine Betonplatte gewesen sei, die durch Freunde von Schubi in einem Rucksack in das Stadion transportiert worden sei (sic!). Er berichtete ebenso, dass es vor dem Wurf, der zunächst als versuchter Totschlag an einem Polizisten in die Anklageschrift eingegangen ist, eine „andere Aktion von Anderen auf einer Brücke“ gegeben habe. Bei dieser „Aktion“ sei ein Polizist geschädigt worden. Schubi selbst sei laut dem Zeugen danach auf die Brücke (gemeint ist hiermit vermutlich der Zugang zu den A-Blöcken) gelaufen und habe von oben die besagte Betonplatte geworfen. Während er bei der ersten Vernehmung vor Gericht noch davon spricht, dass durch diesen Wurf der Helm und das „Schutzschild“ eines Polizisten getroffen worden sein sollen, vermochte er bei seiner zweiten Aussage nicht mehr zu sagen, ob durch diesen Wurf die Polizeikräfte getroffen wurden. Der Zeuge traf weiterhin die Aussage, dass sich für ihn die Situation angehört habe, als ginge es um spielerisches Dosenwerfen. In Bezug auf ein angebliches Foto des vorsitzenden Richters aus dessen Privatleben, dass das Ausspähen des Richters durch Unterstützer_innen von Schubi belegen sollte, schilderte der Zeuge, dieses im März zu Gesicht bekommen zu haben. Im Juni hatte C. bereits gegenüber dem Staatsschutz geäußert, dass es sich bei dem Richter auf dem vermeintlichen Foto um den vorsitzenden Richter in Schubis Verhandlung handle. Vor Gericht sagte er jedoch aus, dass ihm die Übereinstimmung erst am 14.09.2015 aufgefallen sei, als er ein zweites Mal als Zeuge in Schubis Verfahren vernommen wurde und das obwohl er erst einen Monat zuvor selbst als Angeklagter vor eben diesem Richter vor Gericht stand.

Wenn das Gericht eine „geschlossene“ Aussage konstruiert

In einem Beschluss über die Ablehnung eines Beweisantrages der Verteidigung ist jedoch nichts von diesen Ausführungen des Zeugen zu vernehmen. Weder davon, dass eine Betonplatte in einem Rücksack in das Fussballstadion transportiert worden sein soll, noch dass andere Personen beim Fußballspiel des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden Beamte angegriffen hätten oder laut Aussage des Zeugen Schubi zu anderen Angreifer_innen hinzugekommen sei, wird in dem Beschluss dargelegt. Das Gericht lässt damit ein weiteres Mal außer Acht, dass es sich wohlmöglich nicht um einen einzelnen Täter handelt. Teile der getätigten Zeugenaussage werden einfach von den Richter_innen vernachlässigt. Andere Aspekte in den Aussagen des Zeugen C. werden verdreht wiedergegeben. Aus der Wahrnehmung des Zeugen, dass er sich bei den angeblichen Schilderungen des Angeklagten ein Dosenwerfen vorgestellt habe, macht das Gericht, dass Schubi selbst die Ereignisse am Spieltag als harmloses Dosenwerfen abgetan habe. Die Spekulationen um das angebliche Richterbild, was jedoch nie gefunden wurde und zu dem der Zeuge C. unterschiedliche Angaben machte, wann er die angebliche Übereinstimmung mit dem vorsitzenden Richter in dem Strafverfahren gegen Schubi erkannt haben will, lässt das Gericht völlig außer acht. Trotz der Widersprüche macht das Gericht in seinem Beschluss deutlich, dass der ehemalige Mithäftling für sie ein glaubwürdiger Zeuge sei, der „ruhig und sachlich“ eine „geschlossene“ Aussage gemacht habe, ohne dabei „emotional überschießende Tendenzen“ gegenüber dem Angeklagten aufzuweisen. Und das, obwohl der Zeuge mit der Schilderung des Tathergangs und des Tatwerkzeugs eindeutig dem widerspricht, was auf den Videoaufnahmen zu sehen ist, bzw. was die Polizei als Tatwerkzeug dokumentiert hat. Dass dies eigentlich gegen Täterwissen des Zeugen C. sprechen würde, bedenkt das Gericht nicht.

Problematische Regelungen in der Strafprozessordnung

Wie es möglich sein kann, dass ganz offensichtlich Teile von Aussagen von Belastungszeug_innen vor dem Landgericht im Laufe der Verhandlung keine Rolle mehr spielen oder gar umgedeutet werden, lässt sich durch die Regelungen der Strafprozessordnung zur Beurkundung in der Hauptverhandlung erklären. Darin ist zwar geregelt, dass wesentliche Ereignisse vor Gericht wie solche bei einer Vernehmung zu Protokoll gegeben werden müssen (Strafprozessordnung § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung). Das bedeutet jedoch nicht, dass ein wortgetreues Protokoll über die Aussage der Zeug_innen erstellt wird. Dass dadurch der Willkür Tür und Tor geöffnet werden können, zeigt der Fall Schubi.

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