Über die bedenklichen Parallelen zu Dresdener Justizskandalen

Weit im Vorfeld der Eröffnung der Hauptverhandlung am Rostocker Landgericht hatten Schubis Verteidiger einen umfassenden Einblick in die Ermittlungsakte beantragt. Trotz der großen Menge von Videoaufzeichnungen, hatten die Rechtsanwälte allerdings nur einige, kleinere Zusammenschnitte erhalten, welche den mutmaßlich einen und selben „Intensivtäter“ beim Begehen von Straftaten im Rahmen der Spiele des FC Hansa Rostock zeigen soll. Aus diesen Zusammenschnitten wird wenig über die Umstände des dort gezeigten Geschehens ersichtlich. Daher beantragte die Verteidigung abermals nach der Eröffnung des Prozesses am Rostocker Landgericht endlich einen vollumfassenden Einblick in die Akte zu bekommen, um der Wahrung der Rechte des Angeklagten auf einen fairen Prozess durch eine rechtmäßige Verteidigung nachkommen zu können.

Dabei führte einer der Verteidiger aus, dass er keinem der Prozessbeteiligten eine pauschale Unterstellung machen wolle. Sein Vertrauen in die Ermittlungsarbeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft würde aber auch nicht so weit gehen, dass er nicht selbst einen Blick auf das ungeschnittene Material werfen wollen würde. Der Rechtsanwalt begründete dies mit zwei Fällen aus der jüngeren Vergangenheit, in denen erst die von der Verteidigung erzwungene Sichtung ungeschnittener Videoaufzeichnungen die Unschuld der jeweils angeklagten Personen bewiesen werden konnte.

Bei diesen Fällen handelt es sich um die bundesweit bekannt gewordenen Skandalprozesse gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König und den Antifaschisten Tim H. aus Berlin. Beiden wurden Straftaten im Rahmen der Gegenproteste zum größten europäischen Naziaufmarsch am 19. Februar in Dresden vorgeworfen. Neben den beiden Prozessen gegen Lothar König und Tim H. machten auch die übrigen Ermittlungen rund um die Gegenproteste in Dresden Schlagzeilen, da Polizeibeamte zudem ein Rechtsanwaltsbüro und Räume der Dresdener Linkspartei stürmten, sowie im Laufe des Tages per Funkzellenabfrage rund eine Million Handydaten erfasst hatte.

Dem Jugendpfarrer König wurde zur Last gelegt sich des „schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruches“ und der Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie der versuchten Strafvereitelung schuldig gemacht zu haben. Weiterhin ermittelten die sächsischen Behörden gegen Lothar König wegen des Verdachtes der Zugehörigkeit zu einer „Antifa Sportgruppe“, welche gezielt in Dresden Jagd auf Neonazis machen würde und deren Kopf und Anführer er sei.

Der Seelsorger als Rädelsführer?

Die Anklage gegen Lothar König stützte sich auf die Behauptung, dass König als Fahrer und Halter des VW-Busses der Jenaer Jungen Gemeinde während der Demonstrationen und der anschließenden Krawalle in Dresden zu Gewalt aufgerufen haben soll. Laut Staatsanwalt sei aus seiner Lautsprecheranlage auf dem Autodach in einer Menschenmenge unter anderem gerufen worden sein: „Deckt die Bullen mit Steinen ein“. König soll, so die Dresdener Staatsanwaltschaft, versucht haben ein Einsatzfahrzeug der Polizei von der Straße zu drängen. Im Verlauf des Vorfalls seien dann mehrere Steine auf Polizeiwagen geflogen. Der Jugendpfarrer habe anschließend Verdächtige in sein Auto aufgenommen.

Der Prozess gegen den Jenaer Jungendseelsorger wurde noch vor der eigentlichen Eröffnung im Frühjahr 2013 wieder verschoben, weil ein Anwalt der Verteidigung durch einen Zufall in den Akten des Gerichts mehr als 170 Seiten ungeordnetes Material entdeckte, welche der Verteidigung bis zu diesem Zeitpunkt vorenthalten wurde. Auch der weitere Prozess war geprägt von einem unbedingten Verurteilungswillen der Dresdener Staatsanwaltschaft. Es wurde von vornherein einseitig ermittelt, entlastende Akten unterschlagen und auch der Umstand, dass gegen den Pfarrer bloße Vermutungen sowie Falschaussagen von Polizeibeamten anstelle von Beweisen vorlagen, führte erst sehr spät im Sommer 2013 zu einer Aussetzung des Verfahrens.
Hintergrund war, dass die Verteidigung erst während des Verfahrens mitten im Juni 2013 Kenntnis von der Existenz von ca. 160 Stunden unausgewerteten Videomaterials erlangte. Die dann von der Verteidigung nach eigener Auswertung eingebrachten Videoauschnitte aus dem neuen Beweismaterial führten dazu, dass Lothar König auf ganzer Linie entlastet und die ihm zur Last gelegten Anklagepunkte widerlegt wurden.

„Kommt nach vorne!“ – Der Fall Tim H.

Ähnlich, wenn auch weniger prominent wahrgenommen, spielte sich ein weiterer sächsischer Justizskandal ab, der die Auseinandersetzungen vom 19. Februar 2011 zum Gegenstand hatte. Der Berliner Antifaschist Tim H. wurde im Januar 2013 in erster Instanz wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung durch das Amtsgericht Dresden zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Schöffengericht hatte es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte am 19. Februar in der Dresdner Südvorstadt mit einem Megafon zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgerufen hatte. Beim Durchfließen einer Absperrung waren vier Polizisten verletzt worden, wobei einer der Beamten als „Nazischwein“ beschimpft worden war.

Auch gegen Tim H. sagte ein Polizeibeamter aus, der bereits auf Grund seines Auftretens im Verfahren gegen Lothar König von der Verteidigung wegen Fälschung von Beweismitteln angezeigt wurde. Der skandalöse Ablauf des Verfahrens gegen Lothar König führte auch bei der Verteidigung von Tim H. dazu, auf die eigenständige Sichtung des gesamten Videobeweismaterial zu bestehen. Mit Erfolg: in den Aufnahmen tauchten mehrere, andere Personen auf, die die selben vagen Merkmale aufwiesen wie Tim H., wodurch das Urteil aus erster Instanz nicht aufrecht erhalten werden konnte. Der Berliner Antifaschist wurde vom Vorwurf des besonders schweren Landfriedensbruches freigesprochen und musste lediglich eine Geldstrafe wegen Beleidigung zahlen.

Welche Bedeutung haben die Dresdener Verfahren für den aktuellen Rostocker Fall?

Auch im Rostocker Verfahren gegen Schubi liegt offensichtlich ein hohes Verurteilungsinteresse vor und ebenso wird der Verteidigung nur sehr widerwillig und häppchenweise Zugang zu einem Teil der polizeilichen Videoaufzeichnungen gewährt. Ob das Videomaterial im Rostocker Verfahren ähnlich suggestiv und manipulierend zusammengeschnitten wurde wie dies in Dresden gegen Lothar König und Tim H. der Fall war, kann derzeit weder bestätigt, noch ausgeschlossen werden.
Ob durch diese Videos eine Entlastung des Angeklagten möglich ist, konnte bislang ebenfalls kaum geklärt werden. Die Beweismittel liegen bislang nur bei der Polizei vor und Oberstaatsanwalt Krüger sieht bislang keine Veranlassung, diesen Zustand zu ändern. In einem ersten, patzigen Antwortschreiben teilte er der Verteidigung mit, dass er als Herr des zur Anklage gebrachten Ermittlungsverfahrens sich nicht in der Lage sähe der Polizei Anweisungen zu erteilen. Doch die Verteidigung beließ es nicht dabei, sich das Recht auf Akteneinsicht verwehren zu lassen und beantragte daraufhin die Heranziehung aller an diesem Tage angefertigten Videoaufzeichnungen als Beweismittel im Gerichtsverfahren, um damit die Blockadehaltung auf Seiten der Staatsanwaltschaft aufzubrechen. Statt dem Recht zu geben, lehnte das Gericht am 27.08.2015 in einer 35 Seiten umfassenden Begründung ab, das beantragte Videomaterial in den Prozess einzuführen. Ohne es selbst bisher gesehen zu haben, verwies es darauf, dass das Beweismaterial zu keinen neuen Erkenntnissen führen würde.

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