Revision und ein Präzedenzfall

Anfang August, drei Monate nach Schubis Verurteilung zu vier Jahren und fünf Monaten Haft, hat das Landgericht das schriftliche Urteil fertiggestellt. Auf 176 Seiten breitet die Kammer aus, warum sie Schubi verurteilt hat. Wie im Rest des Verfahrens, hat die Kammer dabei Fehler gemacht. Den Verfahrensbeteiligten wurden unterschiedliche Versionen des Urteils zugestellt. Auf der einen hatte alle drei Richter_innen unterschrieben, auf der anderen nicht, weil ein Richter in Elternzeit gegangen sei. Unterschiedliche Urteilsversionen sind jedoch aus naheliegenden Gründen unzulässig und so wäre die Zustellung formal ungültig gewesen. Das fiel auch dem Gericht auf, weshalb es das Urteil einige Wochen später vorsichtshalber noch einmal zustellte – diesmal einheitlich.

Mit dem schriftlichen Urteil konnten Schubis Verteidiger_innen nun die Revisionsbegründung vorbereiten. Am 9. September wurde die 600-seitige Schrift beim Rostocker Landgericht eingereicht. Nun muss unter anderem die Bundesanwaltschaft zum Verfahren Stellung nehmen, bevor der Bundesgerichtshof über die Revision entscheidet. Wann das sein wird, ist vollkommen offen. Wahrscheinlich irgendwann 2017.

Doch warum ist die vom Landgericht verschlampte Urteilszustellung wichtig? Weil die vierwöchige Frist, innerhalb der die Revisionsbegründung durch Schubis Verteidigung eingereicht werden musste, ab der Zustellung des Urteils lief. Eigentlich müsste die Frist mit der erneuten Zustellung des Urteils auch erneut begonnen haben, doch für so einen Fall gibt es bisher keine höchstrichterliche Rechtssprechung. Trotzdem mussten die Anwält_innen aber mit der „neuen“ Urteilsversion arbeiten, so dass die Vier-Wochen-Frist durch diesen Gerichtsfehler defacto weiter verkürzt wurde. Der Bundesgerichtshof wird wohl auch darüber zu befinden haben, ob eine Revisionsfrist mit Neuzustellung des Urteils erneut beginnt. Was wie trockener Jurakram klingt, bedeutet, dass daraus ein Präzedenzfall mit bundesweiten Auswirkungen werden könnte.

Auch wenn es gerade etwas ruhiger um Schubi wird, ist das Verfahren also nicht beendet. Wir sammeln weiterhin Spenden für die Prozesskosten – spendet für Schubi!

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“*

Nach 30 langen Verhandlungstagen ging am 2. Mai der Prozess gegen Schubi am Landgericht Rostock zu Ende. Die Kammer verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten.

Die Urteilsbegründung

In der etwa einstündigen Verlesung der Urteilsbegründung richtete der Vorsitzende Richter eine längere Eingangsrede an den Angeklagten und das Publikum. Die ca. 100 Besucher_innen reagierten darauf wiederholt mit Zwischenrufen. In seiner Ansprache avancierte der Richter zu einem wahren „Extremismus“-Kenner. Gewalt gegen öffentliche Bedienstete sei nicht hinnehmbar, so der Richter. Er begründete dies damit, dass „Angriffe auf Polizeibeamte oder auch zum Beispiel auf Feuerwehrleute die brennende Asylbewerberheime beschützen, … nicht zu tolerieren“ seien. Und mit Angriffen auf Asylunterkünfte kennt er sich aus: Er war es, der die beiden Neonazis Thomas Hocke und Florian Hillner Anfang des Jahres wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung zu einer minimalen Haftstrafe von 5 Jahren verurteilt hatte, nachdem sie im Oktober 2014 versucht hatten, eine bewohnte Unterkunft in Groß Lüsewitz (Landkreis Rostock) mit Molotow-Cocktails in Brand zu setzen. Für den Richter sind rechte und linke „Hetzer“ gleich.

Er unterstellte Schubi Hass gegen Polizei und Staat, den dieser bei Fußballspielen ausgelebt habe. Dies begründete er mit dessen antifaschistischer Haltung und Funden aus Schubis Wohnung, wie etwa linken Plakaten. Obwohl es mit der Anklage nichts zu tun hatte, warf das Gericht Schubi erneut vor, Fluchthilfe unterstützt zu haben. Auf eine entsprechende Anweisung der Polizei hätte er in seiner Tätigkeit als Schiffsoffizier entgegnet, dass er sich nicht an Abschiebungen beteilige – ein wahrer Staatsfeind eben, so soll man die Thematisierung dieser Episode in Prozess und Urteilsverkündung wohl interpretieren. Vom Publikum erhielt Schubi dafür langen Applaus, das Gericht hatte jedoch nur Missbilligung für ihn übrig.

Ein Steinwurf auf den Nebenkläger, der dabei leicht verletzt wurde, wurde mit einer Einzelstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten bestraft. Die harte Strafe, die sogar noch sechs Monate über der Forderung der Staatsanwaltschaft liegt, wurde unter anderem mit der Geschwindigkeit begründet, die der Stein beim Aufprall gehabt haben soll. Empörte Zwischenrufe wiesen darauf hin, dass vor 6 Jahren am gleichen Landgericht ein Neonazi einen Feuerlöscher von einer Empore aus mehreren Metern Höhe auf Antifaschist_innen geworfen hatte (die, nebenbei bemerkt, keine Körperschutzausrüstung angelegt hatten). Damals wurde der sogenannte Pölchow-Prozess vor Gericht verhandelt. Der Neonazi, der damals den Feuerlöscher geworfen hatte, war straffrei davon gekommen. Der Vorsitzende Richter in Schubis Verfahren wiegelte den wütenden Einwurf des Prozessbeobachters damit ab, dass er sich um diesen Vorfall später kümmern werde.

Die Polizist_innen, die auf richterliche Anordnung seit dem achten Verhandlungstag im Juli letzten Jahres im Gerichtssaal verweilen um die richterliche Hoheit im Saal durchsetzen zu können, beobachteten das Publikum derweil. Eine Polizistin versuchte mehrfach Personen während der Verhandlung abzufilmen, versteckte die Kamera jedoch, wenn sie dabei beobachtet wurde. Bereits im Juli hatten Prozessbeobachter_innen bemerkt, dass Polizist_innen im Gerichtssaal Filmaufnahmen gemacht hatten, was damals durch die Verteidigung beanstandet wurde.

Auch die Verteidigung griff der Vorsitzende Richter an, indem er dieser vorwarf, die Kammer mit „dumpfen Populismus“ bewusst diskreditiert zu haben. Insbesondere die Einschätzung der Verteidigung in ihren Plädoyers, dass an Schubi aus politischer Überzeugung ein Exempel statuiert werden solle, schien dem Vorsitzenden nicht gefallen zu haben.

Das Urteil

Wegen versuchter und vollendeter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Vermummungsverbot wurde Schubi zu einer Haftstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten verurteilt. Weiterhin muss er 300 Euro (!) Schmerzensgeld an den Nebenkläger, einen Polizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) zahlen, der von einem Steintreffer eine Rippenprellung davon getragen hatte. Die Kammer hatte „keinen Zweifel“, dass Schubi, trotz der schwachen Beweislage, der Täter sei, der beim Spiel des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden im November 2014, Steine auf Polizeibeamte geworfen hatte. Für die Tatvorwürfe vom Spiel des FC Hansa Rostock gegen RB Leipzig wurde er hingegen freigesprochen, weil ihm keine Würfe nachgewiesen werden konnten.

Bei beiden Spielen bestanden die Beweismittel vor allem aus Videomaterial der Polizei, das überhaupt nur schleppend in das Verfahren eingeführt wurde. Der Unterschied, warum die Kammer die Beweislage beim Spiel gegen Dynamo Dresden anders bewertet, ist der ehemalige Mithäftling und Zeuge Thomas C.. Im Sommer 2015 hatte er sich an den Verfassungsschutz MV gewandt und „Bericht erstattet“. Er behauptete, Schubi habe die Vorwürfe vom Spiel gegen Dresden ihm gegenüber zugegeben. Außerdem versprach C. „Erkenntnisse“ über die linke Szene in Rostock. Der von einer Sachverständigen vor Gericht als „pathologischer Lügner“ klassifizierte C. avancanierte damit zum Hauptbelastungszeugen, dessen Glaubwürdigkeit für die Kammer durch nichts, aber auch rein gar nichts zu erschüttern war.

Die Gesamtstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten liegt nur oberflächlich betrachtet unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten 4 Jahren und 9 Monaten. Deren Forderung bezog sich auf alle fünf Anklagepunkte, verurteilt wurde Schubi nun nur wegen drei Anklagepunkten. Damit ist das Gericht bei der Strafzumessung im Grunde über das von der Anklage geforderte Strafmaß deutlich hinaus gegangen. Schubis Verteidigung hatte einen Freispruch sowie Entschädigung für die U-Haft gefordert und kündigte an, Revision gegen das Urteil einzulegen.

*Fußnote: Matthäus 7:1 – Eines der bei Schubi gefundenen und in der Urteilsverkündung thematisierten Plakate zeigt ein Zitat („Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in seiner eigenen Person spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen“), dessen Urheber Oscar Wilde der Richter allerdings unter den Tisch fallen ließ. Stattdessen sollte der Spruch wohl Schubis angebliche Bereitschaft zur Vermummung und Gewaltausübung gegen Polizist*innen illustrieren – oder so. Da die Zitatrecherche offensichtlich nicht zu den Stärken der Kammer gehört, haben wir in diesem Fall den Urheber gleich mitgeliefert.

Plädoyers verlesen – Schubi soll über 4 Jahre in Haft

Nach fast 30 Prozesstagen geht Schubis Verhandlung dem Ende entgegen. Am 25. April wurden die Schlussplädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre und neun Monate Haft, Schubis Verteidigung einen Freispruch. Ein Urteilsspruch könnte bereits am 28. April folgen.
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