Redebeitrag 18.3. Tag der politischen Gefangenen

Wir veröffentlichen hier unseren Redebeitrag zum Tag der politischen Gefangenen für die Kundgebung in Rostock. (Lesezeit ca. 8 Minuten)Wir sprechen heute zu euch als Freundinnen und Genossinnen von Schubi – unserem Freund, der in Haft sitzt. Wir müssen feststellen, dass die Themen Knast und Inhaftierung nun immer mehr ein wichtiger Gegenstand für uns werden: 

Wir sehen, in Mecklenburg-Vorpommern ist die CDU in Partnerschaft mit der SPD fleißig dabei das Sicherheits- und Ordnungsgesetz zu verschärfen.
Wir haben vor 2 Jahren im Sommer gesehen wie sehr linker Aktivismus für eine bessere Welt im Zuge des G20 kriminalisiert wurde, wie es Hausdurchsuchung gab, wie es Öffentlichkeitsfahndungen gab ohne jeglichen Maßstab.
Wir sehen bei den Klima-Protesten im Hambacher Forst oder auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin im Zuge von Ende Gelände, dass ständig Leute in U-Haft sitzen, ohne, dass sie einen fairen Prozess bekommen.
Wir haben eine gesellschaftliche Stimmung, die den sogenannten Linksextremismus als Haupt-Problem sieht, während der NSU jahrelang mordend durch das Land gezogen ist und Menschen grauenhaft umgebracht hat.
Die Innere Sicherheit ist das Wahlkampfthema Nummer eins. Und wir Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzen, die linke Aktivistinnen sind, sind dabei neben Menschen, die in Deutschland Schutz suchen und geflüchtet sind, sind wir die Hauptfeinde.
Wir sehen, dass es keine Empörung von bürgerlicher Seite gibt, wenn es hohe Haftstrafen gegen linke Aktivistinnen gibt, wenn Sie unrechtmäßig in U-Haft sitzen und wenn es massive Einschnitte in Grundgesetze und Grundfreiheiten jeder Einzelnen und Jedes Einzelnen gibt.
 
Während wir uns vor allem in Rostock in den letzten Jahren in der Antirepressionsarbeit darauf konzentrieren konnten, Verurteilungen zu vermeiden, indem zum Beispiel die Aussageverweigerung immer praktiziert wurde, werden wir uns wohl häufiger auf die Szenarien von hohen Verurteilungen oder Haftstrafen einstellen müssen. So zeigt uns auch das Verfahren gegen Genossinnen, das morgen in Stralsund geführt werden wird, dass es einen absoluten Verteilungswillen von staatlicher Seite gibt, um antifaschistisches Engagement zu kriminalisieren Das bringt uns dazu umdenken zu müssen und uns mit den Besonderheiten einer neuen politischen Unterstützungsarbeit auseinander zu setzen Wenn die Zeiten härter werden, ist es vorbei damit alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass dann auch Knastarbeit zu unserer täglichen politischen Praxis gehören muss.
 
Knastarbeit ist dabei immer ein Marathon und kein Sprint. Das bedeutet:
Knastarbeit ist immer langfristig – wir müssen uns darauf einstellen, dass wenn Leute jahrelang in der Haft sitzen, wir sie auch jahrelang begleiten müssen. Und nicht nur sie: auch das politische Umfeld, die politische Gruppe gehört dazu, genauso wie Familie, Partnerinnen, Kinder und auch Freunde müssen Teil der Antirepressionsarbeit werden. Denn die Leute da drin und ihr Umfeld hier draußen brauchen unsere Unterstützung!
Und selbst wenn die Haft vorbei ist, bedeutet es nicht, dass unsere Arbeit zu Ende ist.
Denn Haftstrafen wirken Lebenslang. Die Inhaftierten, die wieder raus kommen, müssen von uns aufgefangen werden: sie brauchen unsere Stützung in psychischer und sozialer Hinsicht. Wir müssen dafür sorgen, dass sie wieder zurückkommen können, dass sie den Versuch unternehmen können, sich wieder ein neues Leben aufzubauen und die Zeit im Knast hinter sich zu lassen.
Das bedeutet auch, dass wir sie vor Allem finanziell unterstützen müssen. Prozesse, die mit hohen Haftstrafen einhergehen, sind unglaublich kostspielig und es ist die Verantwortung einer linken Bewegung diese Kosten aufzufangen und die Freigelassenen nicht mit einem Schuldenberg dastehen zu lassen. Weil sie dann im Leben da draußen keine Chance auf eine Wohnung, einen Job, ein neues Leben haben werden.
Und wenn wir uns vor Augen führen, dass die Unterstützungsarbeit eine lange Zeit dauert, so lange wie die Person drin sitzen und so lange wie sie dann wieder ins Leben zurück finden müssen – das ist länger, als wir sonst zum Beispiel mit Kampagnen zu tun haben – dann müssen wir uns auch darüber bewusst sein, dass diese Unterstützungsarbeit meist unsichtbar ist.
Es ist klassische Care-Arbeit. Wir können uns nicht selber in Aktionen feiern, diese Betreuung ist unsichtbar. Sie ist kleinteilig und zudem verschlingt diese Knastarbeit unglaublich viele Ressourcen.
Das ist in der linken Bewegung selten Thema, genauso wie zum Beispiel die Arbeitskämpfe, die Inhaftierte in Knästen führen wenn sie sich zum Beispiel in Form der GG/BO zusammenschließen und für Arbeitsrechte im Knast kämpfen, dafür kämpfen dass ihre Arbeit, die sie dortzwangsweise verrichten müssen, auch zum Beispiel in der Rente anerkannt wird.
Dafür brauchen wir ein Gespür und wir müssen Menschen, die diese Arbeit leisten auch mal auf die Schulter klopfen und sagen: „Ihr macht wertvolle Arbeit und wir wissen dass ihr kaum Höhepunkte habt, um neue Energie zu gewinnen. Für diese Arbeit habt ihr keine Gipfel-Proteste, ihr habt keine tollen Partys, weil es immer um ein Thema geht, das schwer ist und was auch belastend ist.“ Deswegen ist es auch wichtig, dass sich trotzdessen es wenig attraktiv erscheint, viele Menschen für diese Form der Antirepressionsarbeit interessieren und sich dafür engagieren. Denn auf je mehr Schultern diese Arbeit verteilt ist, desto eher kann den Menschen, die von Repression betroffen sind, geholfen werden und desto eher ist man als linke Bewegung fähig dem Repressionsapparat etwas entgegenzusetzen.
 
Und wenn wir solidarisch sind mit Menschen, die inhaftiert sind, dann sind wir selbstlos solidarisch. Denn Solidarität ist kein Tauschgeschäft, wir können für unsere Solidarität kein „Danke“ oder irgendeine andere Gegenleistung von den inhaftierten Personen verlangen.
Solidarität funktioniert nur dann, wenn ich Genossinnen helfe, ihnen Unterstützung gebe ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. 
Diese Solidarität darf auch nicht davon abhängig sein, ob wir mit der Person, die im Knast sitzt, super cool sind oder super dick mit ihr befreundet sind oder schon seit vielen Jahren gemeinsam politisch aktiv sind.
Diese Solidarität sollte nicht davon abhängig sein, ob ich jemanden mag, sondern davon, dass ich verstehe, dass es auch andere – vielleicht auch mich – hätte treffen können.
Außerdem sollten uns darüber bewusst sein, dass die Personen, die im Knast sitzen, nicht so handeln können, wie wir es manchmal von ihnen erwarten. Denn die Bedingungen da drin sind eben nicht dieselben, wie hier draußen. Es sollte dementsprechend klar sein, dass schlaue Ratschläge oder auch Werturteile von draußen da drinnen niemanden helfen.
 
Was uns aber ganz konkret hilft, was uns dabei hilft Solidarität zu praktizieren und Antirepressionsarbeit zu leisten, ist uns über das Wissen und die Abläufe im Knast und über die allgemeine Repression auszutauschen.
Wenn wir wissen, wie Weg in den Knast gestaltet ist, wie der Alltag dort zu meistern ist, dann haben wir auch weniger Angst. Dann haben wir weniger Angst davor, dass es vielleicht auch uns hätte treffen können.
Wenn wir verlässlich und kontinuerlich arbeiten und mit Geduld an diese Sache rangehen, wenn wir die Leute, die aktuell im Knast sitzen, eben nicht vergessen, brauchen wir auch selber keine Angst zu haben in der gleichen Situation selbst vergessen zu werden.
 
Und deshalb wollen wir heute am Tag der politischen Gefangenen vor allem eine Person aus Rostock nicht vergessen und zwar Schubi, der im Knast sitzt. Wir müssen nicht immer nur nach Hamburg gucken oder in den Hambacher Forst, denn unser Freund Schubi aus Rostock sitzt derzeit im Knast. Es ist das erste Mal seit langem, dass ein Aktivist aus Rostock und M-V im Knast sitzt und das auch noch für mehrere Jahre. Unsere Aufgabe als Bewegung muss es deshalb sein mit Schubi solidarisch zu sein und ihn aktiv zu unterstützen. In diesem Fall können wir eben nicht auf andere Zeigen und uns nicht auf Hamburg oder Berlin verlassen, sondern es betrifft ganz aktuell uns als Rostocker linke Szene. Und da ist nun Schubi für uns der Maßstab zu zeigen ob wir es hinbekommen, ob wir es schaffen als solidarische linke Schutz vor Repression zu bieten. Wir können manchmal nicht verhindern – trotz kontinuierlicher Prozessbegleitung, trotz Öffentlichkeitsarbeit, trotz Skandalisierung – dass Leute verurteilt werden und in den Knast müssen. Aber wir können verhindern, dass der Knast das bewirkt was er bewirken soll und zwar Vereinzelung. Lasst uns nicht in die Falle geraten aktiv an der Repression der Bullen und der Gerichte mit zu arbeiten, indem wir Betroffene vergessen oder uns distanzieren oder sogar behaupten, sie seien selber Schuld.
Deshalb rufen wir euch heute am Tag der politischen Gefangenen zu mehr Solidarität mit den Gefangenen auf und wir fordern Solidarität mit Schubi und zwar über mehrere Jahre!
Solidarität hat auch eine Signalwirkung auf uns hier draußen: erst wenn wir die Solidarität mit denjenigen wahrnehmen, die sie gerade am Dringendsten brauchen, sind auch wir hier draußen motiviert weiter zu machen! Darum kommt nachher zu 20 Uhr ins Cafe Median, dort gibt es eine Infoveranstaltung zu dem Fall von Schubi, was passiert ist, was in den Verhandlungen passiert ist und wie ihr ihm konkret helfen könnt.
 
Wir machen weiter, wir geben nicht auf! Freiheit für alle politischen Gefangenen! Freiheit für Schubi! Für eine solidarische Linke!